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Odin lebt - aber der Chef der Asen, der Menschenvater und oberste Stammesfürst aller Germanen, thront längst nicht mehr in der Walhalla oben
im Norden, sondern haust im Odinwald, ähnlich wie Rübezahl im Riesengebirge oder der Yeti im Himalaja.
Und das kam so:
Es begab sich vor vielen, vielen Jahren an einem 9. November, als es den nordischen Germanen im Norden zu kühl wurde und
sie in südliche Gefilde zogen. So ein bisschen in der Gegend herumlungern, den Römern auf die Nuschel kloppen und was sich sonst noch an Verlustierungen bot - darauf hatte auch Odin allergrößte Lust. Zumal seine
Gattin Friggy ebenso nervte wie sein Erzfeind Loki mit seinem degenerierten Wolfshund. Außerdem war ständig von Götterdämmerung und Weltuntergang die Rede - so fiel es Odin nicht schwer, von seinem Hlidskialf
auf Burg Gladsheim herabzusteigen, seinen achtbeinigen Gaul Sleipnir zu satteln und seine Walhalla zu verlassen.
Mit seinen Germanen zog er einer Weile herum, ständig gab es irgendwelche Kloppereien - und
die Walküren waren voll im Stress und permanent damit beschäftigt, die gefallenen Krieger nach Walhalla zurück zu bringen. Irgendwann kamen sie mit der Botschaft zurück, dass die Götterdämmerung inklusive
Weltuntergang stattgefunden hat, da oben alles futsch und Odin somit heimatlos ist. Dumm gelaufen - meinte da der Boss der Asen - und entschloss sich, dort zu bleiben, wo er gerade war. Die Gegend war nett, schön
grün und hügelig, Menschen gab es dort außer den gastierenden Germanen und durchziehenden Römern damals noch keine. Odin erklärte die Region zu seiner neuen Walhalla und nannte sie Odinwald. Müde vom
ganzen Hickhack der vergangenen Tausende von Jahren seiner Herrschaft und der ganzen Herumzieherei legte er sich in eine Höhle und schlief. Die Germanen warteten noch eine Weile, aber Odin pennte tief und fest -
auch noch als die Germanen weiterzogen. Alle Germanen, bis auf einige, die wohl zurückgeblieben sind. Odin muss gewaltig müde gewesen sein, denn er schlief fast ebenso lange wie er vorher herrschte und herumzog.
Nun ist er aufgewacht und hat sich umgeschaut. Die Nachkommen seiner zurückgebliebenen Germanen bevölkern inzwischen den ganzen Odinwald und Restgermanien. Mit Grauen sieht er, was aus seinen ehemals so
stolzen und kampflustigen Stamm geworden ist: Ein Volk von Weicheiern, Warmduschern und Ja-Sagern, ausgestattet mit einer stark ausgeprägten Obrigkeitshörigkeit. Regiert werden sie von seltsamen Stammesfürsten,
deren Handlungsweise Odin nur sehr schwer bis gar nicht nachvollziehen kann. Weil seine Odinwälder und auch die Restgermanen ihr Interesse hauptsächlich auf viereckige Kisten, in denen irgendetwas flimmert,
richten, nutzt auch Odin ein viereckiges Kommunikationsmittel. Dabei war es für den alten Mann gar nicht so einfach, das mit dem Internet zu kapieren. Aber er hat es geschafft - und zum soundsovielten Jahrestag
seiner Abreise von Burg Gladsheim schickt er die OdinPrawda ins weltweite Netz. Das Datum hat er bewusst gewählt, denn wichtige, schreckliche und gesellschaftspolitisch relevante Dinge geschehen in Deutschland
immer zu diesem Datum:
9. November 1918: Novemberrevolution - der letzte deutsche Kaiser macht den Abgang und die Monarchie in diesem unserem Land erlebt ihren ultimativen Untergang
9. November 1923:
Hitlerputsch - der spätere Führer des großdeutschen Reiches verkündet im Münchner Bürgerbräukeller eine nationale Revolution - was ihm fünf Jahre Festungshaft in Landsberg einbrachte, wovon er allerdings nur
neun Monate absaß
9. November 1938: Reichspogromnacht - die Nazis demolieren 7500 Geschäftshäuser, stecken 190 Synagogen in Brand, 25.000 Juden werden verhaftet, 3000, meist wohlhabende, in
Konzentrationslager gesteckt
9. November 1989: Mauerfall - nach 28 Jahren wird der kommunistisch-kapitalistische Grenzwall, der Berlin radikal in zwei Hälften teilte, erst löchrig und verschwindet dann
ganz - das deutsche Volk ist für einen Moment auch in den Köpfen vereint, was sich schon sehr bald relativierte
9. November 1994: Drogenrazzia - in einer großangelegten Razzia geht die Polizei gegen die
wahnsinnig gefährliche Odinwälder Drogenmafia vor - die sich dann allerdings als ein Häufchen harmloser Kiffer entpuppt
9. November 1999: Odinprawda - zum letzten denkwürdigen Datum im vergangenen
Jahrtausend meldet sich Odin zu Wort - die OdinPrawda geht ins Netz
9. Novemner 2003: Nachdem das Odenwälder Echo wie fast alle Tageszeitungen in Germanien relaunchte, also ein neues Outfit verbraten bekam,,
war auch Odin nach etwas Veränderung - getreu der Gewohnheit natürlich zum denkwürigen Datum. |